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коренной житель
Aврора
06.01.12 10:37  Идеальное здоровье во всех отношениях. Реальность или утопия?
Читая посты в группе "Среднее медицинское образование", я нашла ссылку на статью немецкого врача, теолога и философа Манфреда Лутца о возведении здоровья и фитнеса в абсолютный культ, о том, что в погоне за идеалом мы забываем о самой жизни. Мне понравилась мысль, что здоровье - это предпосылка для полной жизни, но не её цель. А также его рассуждения о том, что погоня за вечным здоровьем имеет в себе религиозную компоненту. Культ здоровья заполняет душевную пустоту, создаёт иллюзию, что от смерти можно убежать. Не буду дальше пересказывать, если интересно, читайте.
Вот сам автор.

Здесь ссылка на статью.
www.welt.de/print/wams/vermischtes/article13773126/Gesundheit-ist-nicht-d...
Сам текст.
Welt am Sonntag Drucken Bewerten Autor: Norbert Lossau| 18.12.2011
Gesundheit ist nicht das höchste Gut
Der Kölner Psychiater und Theologe Manfred Lütz beklagt, dass viele Menschen ihr Leben verpassen, weil sie nur noch damit beschäftigt sind, gesund zu bleiben. Doch Weihnachten solle niemand Kalorien zählen
Das Streben nach Gesundheit sei eine Ersatzreligion, mit der Menschen ihr religiöses Vakuum zu füllen suchen. Es gebe Menschen, die nur noch vorbeugend leben und nicht begreifen, dass Gesundheit nur eine Rahmenbedingung für das Leben ist, aber eben nicht das Leben selbst. Im Interview vertritt Manfred Lütz seine provokanten Thesen zur "Gesundheitsreligion" und deren Auswirkungen im Alltag.
Welt am Sonntag:

Fördert Weihnachten die Gesundheit?

Manfred Lütz:

Weihnachten ist ein christliches Fest, auch wenn das viele Menschen nicht mehr wissen. Es ist das Fest der Menschwerdung Gottes. Da geht es um unsere Erlösung und nicht um Gesundheit. Doch für viele ist heute Gesundheit das höchste Gut, und es gibt weichgespülte Christen, die meinen, man könne Gott näher kommen, indem man jedem Trend hinterherrennt. Die herrschende Gesundheitsreligion feiert ihre Hochämter bei Städtemarathons, die Fitnessstudios sind ihre Wallfahrtskapellen und Diätbewegungen ihre Bußübungen. Gesundheit zum zentralen Thema von Weihnachten zu machen ist absurd. Weihnachten ist ein Fest, und das muss man feiern. Ich jedenfalls esse zu Weihnachten besonders lecker und denke nicht an Kalorien.

Welt am Sonntag:

Ein Unternehmen wirbt dieser Tage mit dem Slogan "Weihnachten wird unter dem Baum entschieden". Was empfinden Sie bei diesem Text?

Manfred Lütz:

Er zeugt von Kulturlosigkeit. Auf solche Ideen können nur ungebildete Werbefuzzis kommen. Wer mit einer im Grunde zynischen Botschaft Kasse machen will, schadet sich doch mittel- und langfristig nur selbst.

Welt am Sonntag:

Sie haben von der Gesundheitsreligion gesprochen. Was genau verstehen Sie darunter?

Manfred Lütz:

Die Menschen sind heutzutage sehr empfänglich für Ersatzreligionen, weil es ein religiöses Vakuum gibt. Die innere Leere versuchen sie dann mit Kunstprodukten zu füllen - zum Beispiel mit Buddhismus aus der Dose oder eben der Gesundheitsreligion. Wenn es keinen lieben Gott gibt und mit dem Tod alles aus ist, dann wird es hektisch im Leben. Mit allen Mitteln versucht man den Tod zu bekämpfen, denn der Tod ist der Todfeind der Gesundheitsreligion. Man versucht quasi das ewige Leben im Diesseits zu produzieren, was natürlich ein völlig aussichtsloses Projekt ist. Es ist höchst anstrengend, sehr kostspielig, sehr asketisch, und am Ende stirbt man leider doch. Freilich, auch wer gesund stirbt, ist definitiv tot. Wenn ein Wissenschaftler am 1. April in der Zeitung schreiben würde, dass man statistisch drei Monate länger lebt, wenn man täglich eine halbe Stunde um eine Eiche rennt, dann werden Sie bald keine Eiche mehr finden, um die nicht irgendein Idiot im Kreis läuft. Ich habe ein Buch geschrieben mit dem Titel "Irre! Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen". Das bestätigt sich tagtäglich.

Welt am Sonntag:

Und wenn man sein ganzes Leben im Fitness-Studio verbringt ...

Manfred Lütz:

... dann versäumt man viele lebenswerte Dinge. Man kann das mit einem Auto vergleichen, das ständig in der Reparaturwerkstatt steht. Dann kann man zwar nach 15 Jahren sagen, mein Auto ist immer noch wie neu, doch man ist eben auch nicht viel herumgekommen. Es gibt Menschen, die leben nur noch vorbeugend. Sie begreifen nicht, dass Gesundheit nur eine Rahmenbedingung für das Leben ist, aber nicht das Leben selbst. Um den Tod zu vermeiden, nehmen sie sich das Leben. Und sterben dann doch.

Welt am Sonntag:

Wann ist ein Mensch gesund?

Manfred Lütz:

Die WHO hat einmal definiert, Gesundheit sei völliges körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden. Nach dieser inzwischen revidierten Definition ist tatsächlich niemand gesund. Ich halte es da lieber mit Nietzsche. Der hat einmal gesagt: Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen. Heute herrscht jedoch ein geradezu utopischer Gesundheitsbegriff, der von dauerndem Wohlbefinden ausgeht. Die viel diskutierte Burn-out-Welle hängt damit zusammen, dass viele denken, man muss stets ausgeglichen und bestens gelaunt sein, immer gut schlafen und hochbelastbar sein. Und weil niemand offen über diese Dinge redet, denkt jeder für sich, er sei der Einzige, bei dem das nicht richtig funktioniere. Doch jeder Mensch hat irgendwelche Macken und Defizite, aber krank ist man deshalb noch lange nicht. Im Zweifel ist der Mensch gesund - auch wenn er vielleicht merkwürdig ist, wie Sie und ich. Das permanente Beobachten jedes Wehwehchens fördert nicht gerade die Lust am Leben. Wer sich immer nur um die Rahmenbedingungen des Lebens kümmert, der verpasst das Leben.

Welt am Sonntag:

Es wird seit Jahren berichtet, dass die Zahl der psychisch Kranken zunimmt. Stimmt das?

Manfred Lütz:

Die schweren psychischen Krankheiten wie Schizophrenie und schwere Depressionen haben nicht zugenommen. Bei den Suchtkrankheiten und Persönlichkeitsstörungen gibt es vielleicht etwas mehr Fälle als früher. Neuerdings aber gelten Leute als krank, die gar nicht krank sind. Man sollte eben nicht aus jeder Befindlichkeitsstörung eine Krankheit machen. Doch es gibt wirtschaftliche Interessen, neue Krankheiten auf den Markt zu bringen. Die Sakralisierung des Gesundheitsbegriffs einerseits und die utopische Unerreichbarkeit andererseits bilden eine höchst lukrative Gemengelage. Ein Ziel, das zwar das höchste ist, aber niemals erreicht werden kann, ist der neue Goldesel, sozusagen eine Gelddruckmaschine für die boomende Gesundheitsindustrie. Die Kostensteigerung im Gesundheitswesen hat meiner Meinung nach also letztlich religiöse Gründe. Die absurde pseudoreligiöse Aufladung des Gesundheitsbegriffs führt aber die Gesundheitspolitik in die Sackgasse, denn Politik ist die Kunst des Abwägens. Ein höchstes Gut können Sie aber gar nicht abwägen, dafür müssen Sie immer alles tun oder es wenigstens behaupten. Wer da als Politiker ernsthaft für irgendwelche Einschränkungen eintreten würde, wäre nicht mehr wählbar.

Welt am Sonntag:

Und an dieser Situation würden Sie gerne etwas ändern?

Manfred Lütz:

Ja, ich habe das Buch "Lebenslust" geschrieben, um eine Debatte anzustoßen. Gerade bei Ärzten treffe ich auf viel Nachdenklichkeit. Wer als Arzt noch alle Tassen im Schrank hat, der wird sich nicht zum Guru der Gesundheitsreligion machen lassen, denn er weiß, dass bei den quasireligiösen Heilswünschen der Menschen an die Hohenpriester der Gesundheitsreligion gilt: Bei Nichterfüllung wird der Arzt verklagt.

Welt am Sonntag:

Haben Sie weitere Beispiele für die Auswirkungen dieses Denkens?

Manfred Lütz:

Im Moment werden immer neue Süchte erfunden. Neulich habe ich gelesen, dass neun Prozent der Deutschen kaufsüchtig seien. Das führt doch zur völligen Auflösung des Suchtbegriffs. Der Psychiater Klaus Dörner aus Gütersloh hat einmal vorgeblich seriöse Zahlen über psychische Störungen in Deutschland ausgewertet und ausgerechnet, dass danach 210 Prozent der Deutschen psychotherapiebedürftig krank sein müssten. Dann müsste man neben jeden Deutschen einen Therapeuten stellen, und nach einem Jahr können Sie dann die Rollen wechseln, wenn das dann noch geht.

Welt am Sonntag:

Viele wünschen sich gegenseitig für das neue Jahr vor allem Gesundheit.

Manfred Lütz:

Ich nicht!

Welt am Sonntag:

Das habe ich erwartet, doch was wünschen Sie?

Manfred Lütz:

Ich wünsche den Menschen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr. Wenn man aller Welt ein "gesundes Neues Jahr" wünscht, dann ist das für chronisch Kranke eine Frechheit. Das Gleiche gilt für den Ausruf: "Hauptsache gesund!" Eine Leserin meines Buches "Lebenslust", die von Geburt an herzkrank ist, hat sich bei mir bedankt. Wenn der gedankenlose Spruch "Hauptsache gesund" stimmen würde, dann hätte sie in ihrem Leben ja nie die Hauptsache erleben können. Doch sie freue sich ihres Lebens. Weihnachten ist eine sehr gute Gelegenheit dafür, sich zu überlegen, was wirklich wichtig ist im Leben. Mancher Krebspatient lebt intensiver und sinnvoller als jemand, der mit normalen Laborwerten durch sein Leben hechtet und am Ende gar nicht weiß, was er eigentlich gemacht hat.

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